Smartwatches und Protzomaten
by Volker Weber
Was ist das? Macht tick-tack und wenn's runterfällt, ist die Uhr kaputt?
Das ist der älteste Dad-Joke, an den ich mich erinnern kann. Gut erinnern kann ich mich aber an den größten Blödsinn, den ich heute gelesen habe: "Ich kaufe mir jetzt eine Analog-Uhr, damit ich von meinem iPhone loskomme." Und eine Schreibmaschine, und einen Plattenspieler, vielleicht? Fahrrad ohne Gangschaltung und ohne Bremsen?
Warum macht die Uhr tick-tack? Das ist die Unruh, die eine Hemmung antreibt. Die Unruh ist eine mit gleichmäßiger Frequenz schwingende Feder, deren Schwingungen man zählt, um die Zeit zu messen. Eine genau gehende Uhr zu bauen erfordert eine brutale Präzision, wie sie nur Schweizer Bergbauern in nutzlosen Wintertagen aufbrachten. Dann hat man entdeckt, dass Quarze sehr viel genauer schwingen, und die Präzision war nichts mehr wert.
Die mechanische Uhr wurde zum Protzomat ("kann sich eine dicke Uhr leisten" oder "kennt eine Stewardesse, die sich was nebenbei verdient") und an und für sich völlig unnütz, weil mittlerweile alles die Zeit anzeigt. Ergebnis: Die nächste Generation trägt keine Armbanduhr mehr. Die alten Säcke sehr wohl, am liebsten mit "Komplikationen", also Dingen, die extra Geld kosten dürfen. Man weiß ja nie, wann man mal eine Rundenzeit (aufregendes Leben) stoppen oder die Mondphase (Entschleunigung) kennen muss.
Ganz schlimm ist in dieser Welt natürlich eine Smartwatch. Taugt nicht als Protzomat, weil viel zu billig. Und kann dazu für kost-beinahe-gar-nix mit Komplikationen aufgeladen werden. Am aller-aller-schlimmsten ist natürlich die Apple Watch. Prüfen wir mal ein paar Vorurteile:
- "Die ist nicht mal wasserdicht." Ist sie doch. Ich wasche sie regelmäßig unter fließendem Wasser.
- "Aber man kann damit nicht duschen." Kann man wohl. Sollte man aber nicht, weil die Stelle unter der Uhr auch sauber gemacht werden muss.
- "Die Batterie ist viel zu schwach." Ja, das hat man auch vom iPhone gesagt. Beide müssen jeden Tag an den Strom. Beide halten bei mir einen Tag. Auch wenn er mal 30 Stunden lang ist.
- "Ist nur was für Angeber." Siehe oben, unter Protzomat.
- "Ich will nicht noch mehr abgelenkt werden." Sehr gutes Argument. Für die Apple Watch. Ist jetzt etwas schwierig zu verstehen, aber in der Praxis tatsächlich so.
- "Wenn sie runterfällt, ist sie kaputt." Siehe ganz oben, unter Dad-Joke.
Dass wir uns recht verstehen. Ich bin Ingenieur. Ich liebe es, durch den Glasboden in einen Protzomat zu schauen. Diese Präzision, diese Mechanik. Und dieser sensationell niedrige Energieverbrauch. Hach.
Aber wer von seinem iPhone loskommen will, der schaltet es bitte einfach aus. Ohne iPhone aus dem Haus zu gehen wäre sicherlich zu gewagt.
Comments
Wieder einmal wunderbar auf den Punkt gebracht. Danke, Volker!
Kaufe Dinge, die dich glücklich machen. kaufe keine Dinge, die dich nicht glücklich machen. Der Bestimmer bist du. Danke für Deine verschriftlichen Beobachtungen, Volker!
Das einzig Negative an meiner Apple Watch ist, dass ich jetzt nicht mehr (oder selten) dazu komme, meine sonstigen Armbanduhren zu tragen. Da sind zwar keine Protzomaten bei, aber Teile, die ich gern mag.
Aber das Ringe-Schließen (auch wenn ich nicht so diszipliniert wie Du, Volker, bin) macht schon ein wenig süchtig ;-)
Zwei Uhren zu tragen sieht, mit Verlaub, dämlich aus.
Jawolll.
Sven, habe ich vor drei Wochen auf einer Party gesehen. Zwei Protzomaten. Kleiner Mann.
Kann Dir nur beipflichten auch wenn ich mir derzeit noch keine Apple Watch kaufen würde. Ich fand das tägliche Laden schon bei meiner Garmin GPS Golfuhr lästig, vergass es des öfteren und dann lag das Ding herum.
Ich bin mir aber sicher das die nächste Generation schon wesentlich länger durchhält und wir in zwei, drei Jahren Smartwatches mit "Automatikwerk", Solarzellen o.ä. sehen werden. Mal schauen ob ich solange widerstehen kann ...
Irgendwie liebe ich meine mechanischen Uhren und geniesse es mir je nach Stimmung und Anlass die Uhr auszusuchen. In dem Sinne wäre die Apple Watch die "Exit Watch" nach der viele Uhrenverrückte suchen. Sie macht nämlich nur sinn wenn nur noch sie getragen wird. Damit blockiert sie das Handgelenk und lässt keinen Platz mehr für die anderen Uhren. Meine Kombination deshalb derzeit mechanische Uhr am linken und Microsoft Band am rechten Handgelenk. Diese Kombination geht noch ganz gut. Mechanische Uhr und Apple Watch parallel kann ich mir nicht vorstellen.
Zum Thema "tägliches Laden" fällt mir jetzt direkt mal ein herrlicher Spruch ein, den ich neulich auf FB gelesen hatte und sehr schmunzeln musste:
"Mit nur 12% Akku das Haus verlassen.
Man muss auch mal was riskieren im Leben"
:-)
Die klassische Uhr kommt mir hier etwas zu schlecht weg. Man darf nicht vergessen: Sie ist das einzige Schmuckstück dass einem Mann in der heutigen Welt zugestanden wird. Uhren sind durchaus kleine Kunstgegenstände auch wenn hier reines Handwerk und Kunst schwer trennbar sind (>Kunsthandwerk). Über Sinn und Zweck darf man sich dabei nicht ernsthaft Gedanken machen, entweder man mag es, oder eben nicht. Der Protzfaktor bei einer Uhr mag durchaus vorhanden sein, aber ich finde es aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen viel sinnvoller, mit einer Rolex zu protzen als mit einem Cayenne oder BMW X6. Wirtschaftlich übrigens insofern als dass eine gute Rolex wertstabil ist, dies im Gegensatz übrigens wohl zu einer Apple Watch für >1000 (dies wage ich mal zu behaupten) welche in 1-2 Jahren keiner mehr haben will. Ganz zu schweigen davon dass man diese mal seinem Sohn vererbt.
Aber auch ich gebe zu, mein Microsoft Bändchen hat derzeit auch bei mir eindeutig die Nase vor der Protzuhr. Ich dachte auch erst, dass ich dieses Gummidingsda nur zum Sport anziehe, aber das Tracken aller Parameter hat durchaus einen gewissen Suchtfaktor auch wenn ich nicht wissen will, wo die Daten am Ende überall landen.
Axel, eine "selbstladende" Smartwatch wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Der Energiebedarf ist einfach zu hoch. Das ist übrigens relativ leicht zu berechnen. Vor vielen Jahren habe ich mich zu dem Thema mal mit einem Nokia-Forscher zu dem Thema unterhalten und mich mehrfach als Ingenieur blamiert. ;-)
Ich will übrigens den mechanischen Uhren ihren nostalgischen Charme nicht absprechen. Alte Autos mag ich ja auch mehr als moderne. Die Kombination von Analog-Uhr und Fitnessband erinnert mich ein wenig an die Zeiten, als man Handy und PDA mit sich rumschleppte.
kleiner Tipp für Politiker: Wenn Du einen Protzomat trägst, stell sicher, dass der Einkaufspreis mit Deinen offiziellen Einkommen verinbar ist.
Die Präzision mechanischer Uhren scheint heute immer noch viel wert zu sein, zumindest für deren Käufer. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es dafür auch in Zukunft einen Markt geben wird. Schweizer Bergbauern hab' ich in diesem Bericht allerdings nicht entdeckt. :-) https://www.youtube.com/watch?v=nyUI0dZY26Q
Auf der anderen Seite wird "Wearable Tech" immer mehr zum Mainstream und ich kann mir gut vorstellen, dass Smartwatches (so wie wir sie heute kennen) mittelfristig durch intelligentere und leistungsfähigere devices abgelöst werden (ähnlich wie PDAs durch Smartphones verdrängt wurden).
Wem das tägliche laden der Apple-Watch zu lästig erscheint, dem sei die Pebble-Time ans Herz gelegt. Eine Woche ohne Stromzufuhr ist kein Problem, zudem ist sie noch 30m Wasserdicht (wer es braucht).
In Verbindung mit einem Blackberry (Passport) und Casca-Run auch prima als Fitnesstracker brauchbar, der Passport muss auch nicht jeden Tag ans Ladegerät wohlgemerkt ;-)