Alex und Kira :: Eine ganz persönliche Perspektive

by Volker Weber

Alles passiert jetzt. Gestern war nichts, was morgen ist, weiß ich nicht. Ute liefert mich vor dem Alice-Hospital ab und fährt weiter zur Arbeit. Ich bin schwach, alles schmerzt. Ich habe seit Tagen nichts gegessen, viel zu wenig getrunken. Nichts geht mehr. Aber ich will diesen Weg mit eigener Kraft gehen. Ich greife meinen Beutel mit Wäsche und ein paar Stromkabeln und gehe hinein ohne mich umzudrehen. Ich muss jetzt vorwärts.

Der Aufzug bringt mich eine halbe Treppe bis auf die Empfangsebene. Ich gehe den langen Flur bis ans andere Ende des Hospitals zur Patientenaufnahme. Dort fängt mich die stellvertretende Leiterin auf. Sie nimmt meine Versicherungskarten und erledigt allen Papierkram für mich. Mein Finger steckt in einem Pulsmesser. Piep, piep, pieppiep, ..., piep, piep, ..., pieppiep. Mein Herz schlägt, aber nicht regelmäßig. Der Blutdruck ist vorbildlich. Die Frau lässt mich den Aufzug zur Station nicht selbst nehmen. Sie setzt mich in einen Rollstuhl und fährt mich bis zu meinem Bett. Alles tut weh. Alles. Weh. Keine Luft.

Dann kommt Kira. Lange blonde Strähnen, ein bisschen verschmitzt, bestimmend aber sanft. Ich bekomme einen Venenzugang, sofort eine Flasche Paracetamol, danach Wasser, viel Wasser. Trinken darf ich nicht, wegen der OP. Aber jetzt ist das kein Problem mehr. Ich habe ja diese neue Lebensader. Alles wird gut, die Schmerzen sind weg. Ich kann wieder atmen. Ich soll mich auf die Operation vorbereiten. Ich ziehe alles aus, wasche mich noch einmal, lasse noch mal allen Urin ab und ziehe mir das OP-Hemd über. Kira zieht mir die Kompressionsstrümpfe an. Ich kann nicht mehr.

Das Rollkommando kommt und bringt mich zum OP ganz nach oben. Ich werde auf den OP-Tisch umgebettet und festgeschnallt. Es geht in die Schleuse. Jeder fragt mich das gleiche. Wie heißen Sie, wann sind Sie geboren, was machen wir mit Ihnen? Sie wissen es, aber sie wollen es noch einmal hören. Nur damit sie niemanden verwechseln. Zwei Menschen bereiten mich weiter vor. Ich werde verkabelt. EKG. Blutdruck. Mein Chirurg kommt und begrüßt mich. Ich frage ihn, ob er mein Anästhesist ist. Er lacht. Nein, er ist mein Chirurg. Ich erkenne ihn nicht. Er hat sich vermummt. Dann kommt meine Anästhesistin. Wie heißen Sie, wann sind Sie geboren, was machen wir mit Ihnen? Ich erzähle ihr was mir wichtig ist. Und dann gebe ich mich in ihre Hände.

Licht aus.

Licht an. Ich weiß nicht wo ich bin. Nicht im OP. Nicht bei Kira. Aber ich fühle mich geborgen. Ich bin in einem halb dunklen Raum. Einem riesigen Raum, hinter mir Maschinen, die röcheln und schnaufen. In meiner Nase steckt ein Schlauch, der mir wunderbare Luft spendet. Sauerstoff. Mein Finger steckt in einer Klammer, die schaut, ob genug davon im Blut ist. Immer wieder pumpt sich eine Manschette an meinem Arm auf. Der Blutdruck. An meiner Lebensader hängt lebensspendendes Wasser. Mein Monitor piept. Ganz gleichmäßig. Piep, piep, piep, piep, piep, piep, piep, piep. Das Herz scheint erleichtert.

Ich bin nicht allein. Ich heiße Alex. Herr Alex? Nein, einfach Alex. Ich will seinen ganzen Namen wissen. Alexander Bruccoleri. Alex meint, das könne sich niemand merken. Er hat keine Ahnung.

Alex ist mein Leben. Er hält es in seinen Händen. Er hegt es, er pflegt es. Er entschuldigt sich, wenn er mal weg muss. Ich bin so froh, wenn ich ihn sehe. Jede Stunde befreit er mich von dem Monitor, hängt meine Drainage um und bringt mich zum Klo. Als nach Stunden immer noch kein Wasser kommt, hilft er mir. Ich frage Alex nach meinem Telefon. Er meint ich dürfe es hier nicht benutzen. Aber er holt es mir, macht es ganz sauber und gibt es mir. Ich schlafe immer wieder ein. Wenn ich wach werde, ist Alex da. Alex ist immer da. Er ist mein Leben.

Ich frage Alex, ob Ute kommen darf. Sie darf. Alex passt auf, dass sie absolut sauber ist. Mein Chirurg kommt und erklärt mir, dass das nicht ganz einfach war und dass ich erst mal hier bleibe bei Alex. Ich bin zufrieden. Hier fühle ich mich sicher. Alex und seine Maschinen passen auf mich auf.

Alex besteht darauf, dass ich etwas esse. Ute öffnet mir ein Joghurt und nimmt den ersten Löffel. Das macht sie immer so. Es gibt noch ein zweites, mit Erdbeergeschmack. Ich bin satt. Ich kann schlafen. Endlich. Schlafen.

Kira kommt. Sie hat mein Bett mitgebracht. Die Maschinen brauche ich nicht mehr. Sie fährt mich alleine wieder zurück in mein Zimmer. Der Aufzug fährt abwärts. Nanu? Kira schiebt mich auf meinen Platz, wo sie mir einen Tag zuvor die Strümpfe angezogen hat. Die Sonne scheint mir auf den Bauch. Das Leben in mir erwacht wieder. Alex hat mich zurückgebracht. Das Gefühl für Zeit kommt zurück. Ich kann mich frei bewegen. Erst ganz wenig. Und dann mehr. Immer mehr. Immer weiter. Kira sagt, ich soll mir was ordentliches anziehen. Na, das sieht doch ganz sportlich aus! Ich muss gehen, gehen, gehen. Und Luft holen und ausatmen und einatmen. Und dann: RRRROOOOAAAAAAR. Ich bin wieder da.

Comments

Wow. Was für ein Erlebnis. Und schön, dass alles gut gegangen ist. Welcome back!

Alper Iseri, 2017-10-21

Sehr bewegend. Freut mich, dass Du Alex und Kira hattest.

War letzte Woche Freitag mit Nierenkolik in der Notaufnahme. Der Arzt hat sich ungeheuer schlecht benommen. Gerade in so einer Situation, wenn man vor Schmerz kaum Denken kann, hätte ich mir auch gerne Kira oder Alex gewünscht. So dass ich das Gefühl gehabt hätte da passt einer auf und ich kann mich fallen lassen.

Mariano Kamp, 2017-10-21

Herzzerreißend!

Markus Dierker, 2017-10-21

Sehr schön. Erinnert mich an meinen Zivildienst in der Uniklinik in Heidelberg. All's well that ends well. Welcome back!

Jochen Kattoll, 2017-10-21

Schön geschrieben, danke. Genau solche (fast nur gute) Erinnerungen an die Menschen in den Krankenhäusern habe ich auch. Fasziniert hat mich ihre Geduld im Umgang mit nicht ganz so einfachen Patienten.

Thomas C. Knodt, 2017-10-21

Danke, Volker; dass es Dich gibt, und Alex, und Kira. Und dass alles gut gegangen ist.Ein Mensch ist so zerbrechlich; und das Leben ist so kostbar. Manchmal weiss man es erst, wenn man da durch ist.

Sabine Kluge, 2017-10-21

Rrrooaarrrr!! Alex, Kira und dem OP Team sei Dank!
Eindrucksvoller Bericht und super, dass Du schon wieder so fit bist.

Maria Breitinger etc, 2017-10-22

Danke für dieses "ungewöhnliche" Stück von Dir. Ich war seit meiner Kindheit nicht mehr im Krankenhaus. Und ich hoffe, wenn ich das nächste Mal hin muss - und das wird kommen - ich auf so gute Menschen treffe wie sie Dir begegnet sind. Schön, dass Du zurück bist.

Thomas Cloer, 2017-10-22

Gut gebrüllt, Löwe und willkommen zurück!

Dietmar Liehr, 2017-10-22

Willkommen zurück! Schön das es so gut ausgegangen ist.

Detlev Buschkamp, 2017-10-23

Freut mich Volker, dass es Dir wieder besser geht!
Und Danke für den Text... und dass Du daran teilhaben lässt.. wertvoll und nachdenklich machend!

Gute Besserung weiterhin! :)

Markus Lachnit, 2017-10-23

Welcome back!

Jean-Marc Autexier, 2017-10-23

Danke Hr.Weber, für diese eindrucksvolle und nachdenklich machende, persönliche Erfahrung und es freut mich persönlich sehr, dass sie eine so positive Erfahrung mit dem Alicehospital gemacht haben.
Schön, dass es Ihnen wieder gut geht..

Auf zu neuen Taten;*)

Christina Rose, 2017-10-30

Schön, dass es dich gibt!!

Cem Basman, 2018-01-07

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