Menschen, die auf ihr Handy starren

by Volker Weber

1f15290c29cd5e180649427bbdea7ea5

Ein Smartphone ist kein Telefon. Es ist eine Fernbedienung für unser Leben. Und dieses Leben besteht zunehmend daraus, auf das Smartphone zu starren. Das betrifft uns alle, überall. Sobald uns langweilig wird, holen wir unser Smartphone heraus und starren darauf. Und wenn wir selbst nicht auf die Idee kommen, dann benachrichtigt uns das Gerät, damit wir wieder daran denken. "Hey, jemand hat dein Instagram-Bild geliked."- "Jemand hat dich in einem Facebook-Kommentar erwähnt." Kleine Mikrobelohnungen am laufenden Band machen uns abhängig.

Man kann diesen Zirkel unterbrechen. Apps löschen, Benachrichtigungen abstellen, Newsletter-Abos kündigen, ein dummes Zweittelefon anschaffen. Ich habe einiges davon ausprobiert und es funktioniert. Wer mich trifft, der weiß, dass ich stundenlang nicht auf mein Handy schaue. Dass ich das Haus verlasse, ohne es mitzunehmen. Die Startseite auf dem iPhone ist nicht mal voll, auf die zweite Seite muss ich äußerst selten, eine Dritte gibt es nicht. Das Smartphone gibt keine Töne von sich, es vibriert nicht mal.

Den Durchbruch hat die Apple Watch der dritten Generation gebracht. Ich zahle monatlich 5 Euro dafür, dass ich auch ohne iPhone erreichbar bin und dass ich, wenn es wirklich nötig ist, auch jemanden anrufen kann. Nur wenige Benachrichtigungen kommen durch, auch die Uhr gibt meistens keine Töne von sich. Nur die Taptic Engine gibt mir kleine Berührungen auf das Handgelenk. Und ich weiß, was sie bedeuten, ohne hinzuschauen. So schlau die Uhr ist, sie ersetzt mir das dumme Zweithandy.

Es mag ein bisschen albern sein, wenn man in sein Handgelenk spricht, aber das waren die ersten Handys auch. Die Apple Watch ist nicht autark. Sie braucht ein iPhone, noch. Aber sie befreit mich auch davon. Und wenn man den Kopf hebt und sich umschaut, dann sieht man sie, die anderen Zombies. Die Mütter, die auf ihr Handy starren statt auf ihr Kind. Die Autofahrer, die noch mal schnell eine Nachricht lesen müssen, statt auf die Straße zu schauen.

Ich brauche Langeweile. Zeit, die ich nicht auf einen Bildschirm starre. Nur so habe ich neue Ideen oder kann etwas Neues schaffen. Mal schnell Facebook checken, mal schnell die Instagram-Benachrichtigungen? Nicht mit mir. Nicht mehr.

Die besten beiden Änderungen in Windows 10, die am Montag kommen: Timeline und Focus Mode. Timeline zeigt Dir, woran du gerade arbeitest, und was Du die letzten Tage angefasst hast. Focus Mode hält Dir die unwichtigen Benachrichtigungen vom Hals. Damit Dir wieder langweilig wird und Du was geschafft kriegst.

Comments

+1 - I'm far from being down to two pages of apps, though. As they say: less is more and more is less. Being bored is definitely part of the process of being creative.

Markus Dierker, 2018-04-28

„Fernbedienung für das Leben“. Selten eine bessere Beschreibung gelesen. Auch wenn die wörtliche Bedeutung von „Fern“ nicht wirklich trifft.

Dominique Roller, 2018-04-28

Meine Gear S3 braucht noch ein per Bluetooth verbundenes Smartphone. Daher habe ich das eigentlich immer dabei. Aber Töne und Vibration aus. Und es bleibt in der Hosentasche.
Wichtige Benachrichtigungen bekomme ich per Vibration am Handgelenk mit. Und da gehören nicht mal Whatsapp / Signal dazu.
Über die ganzen Smombies kann man wirklich nur den Kopf schütteln.

Manfred Wiktorin, 2018-04-28

Danke für den Beitrag. Digital Detox ist genau der Grund, warum ich meine Apple Watch nach drei Monaten wieder verkauft habe.

Holger Glaue, 2018-04-28

Deswegen werde ich mein Lumia vermissen, noch halte ich daran fest, es hat mir abgewöhnt, ständig an irgendwas rumzuspielen und mich damit ein Stück weit befreit vom Drang, das Ding immer in der Hand zu halten. Alle paar Stunden mal drauf schauen und gut.

Kai Schmalenbach, 2018-04-29

Wie recht du hast. Ich muss gestehen: Ich bin kein Freund extremer Reaktionen als Lösung für Probleme. Es muss immer ausgewogen sein. Die Apple Watch habe ich seit der S0 und die löst für mich das Problem der fremdbestimmten Störungen (unnötige Pushes und dann im iPhone schauen und hängen bleiben)

Was unnötige Apps wie FB, Insta und Co angeht, habe ich noch keine Patentlösung. Verbannen kann eigentlich auch nicht die Lösung sein. Ich denke Selbstdisziplin und Bewusste Benutzung sind eher der Schlüssel.

Daniel Gebauer, 2018-04-29

Daniel, das Problem bei Facebook, Insta & Co ist, dass das ganze Erlebnis auf "Engagement" optimiert ist. Du kriegst Dinge gezeigt, die Dich dazu bringen, wiederzukommen. Und die rüsten immer mehr auf, mit AI und Allem, was der Technikzauberkasten bietet. Das Wettrennen verlierst Du, weil wir unsere Psychologie nicht in gleichem Maße aufrüsten können.

Ich bin davon nur durch eine radikale Lösung weggekommen. Du kannst sie sehen: http://instagr.am/volkerweber

Volker Weber, 2018-04-29

"Wichtige Benachrichtigungen" ist das Schlüsselthema. Sammelt man die mal über einen Tag und stellt sich dann die Frage was sich am Leben geändert hätte wenn man sie nicht bekommen hätte wird so Einiges klarer.

Es geht zu 99% um Zeitvertreib und "modernes Geplauder". Das kann (und sollte) man *bewusst* machen. Wenn man das Handy öfter mal während anderer Tätigkeiten zuhause, im Auto oder am Schreibtisch liegen lässt verbessert sich die Teilnahme am Leben hochgradig.

(Und Volker: die Uhr ist das letzte Bischen Selbstbetrug ;) )

Frank Köhntopp, 2018-04-29

Frank, das kann schon sein. Bei der Uhr hängt sehr viel davon ab, wie man sie benutzt. Dein Kommentar zum Beispiel hat keine Benachrichtigung ausgelöst. In den letzten Stunden hat sie sich nur zweimal gemeldet, bei der Erreichung des Move und des Exercise Goals. Und auch das könnte ich abschalten. Aber diese Gamification wirkt sich zu meinem Vorteil aus. Ich bin einfach gesünder, wenn mich etwas auf Trab hält.

Volker Weber, 2018-04-29

I read this outside in a beer garden. On a smart phone. Do you see the irony? ;)

Other thoughts: Sie haben Recht.

Johannes Matzke, 2018-04-29

Ich sage jetzt lieber nicht, wieviele Apps ich aktuell am iPhone installiert habe.

Karl Heindel, 2018-04-30

Ich starre lieber auf Ziegen :)

Jochen Kattoll , 2018-04-30

Geld dafür bezahlen, damit man in Ruhe gelassen wird. Der neue Luxus im Zeitalter der Aufmerksamkeitsöknomie.

Bei mir ist es die fehlende Brille. Manchmal vergesse ich sie absichtlich, damit ich mir das Elend oder die Benachrichtigungen aufm Handy nicht genauer anschauen muss. Works for me.

Juergen Eichholz, 2018-05-01

Old vowe.net archive pages

I explain difficult concepts in simple ways. For free, and for money. Clue procurement and bullshit detection.

vowe

Paypal vowe